Menschlichkeit in der Führung – Balance zwischen Nähe und professioneller Distanz
In vielen Unternehmen – und gerade im Einkauf – stehen Führungskräfte vor einem Dilemma: Einerseits sollen sie Strukturen schaffen, Ergebnisse sichern und klare Vorgaben machen. Andererseits sind sie Menschen mit Empathie, Werten und dem Bedürfnis, auch auf persönlicher Ebene für ihr Team da zu sein. Genau hier entsteht oft ein Spannungsfeld, das zu Frust und Missverständnissen führen kann.
Die Problemstellung: Wenn Nähe zur Selbstverständlichkeit wird
Viele Führungskräfte investieren weit mehr als nur Zeit in ihre Teams. Sie hören zu, helfen in Krisen, organisieren gemeinsame Aktivitäten und greifen manchmal sogar privat in die Tasche, um Lücken zu füllen – sei es für eine Weihnachtsfeier oder ein spontanes Team-Event.
Die Absicht dahinter ist positiv: Man möchte das Team stärken, ein „Wir-Gefühl“ erzeugen und zeigen, dass man die Menschen hinter den Rollen ernst nimmt. Doch nach einiger Zeit tritt häufig ein paradoxes Phänomen auf: Diese Extras werden nicht mehr als besondere Geste wahrgenommen, sondern als selbstverständlich. Dankbarkeit bleibt aus, Anerkennung wird selten ausgesprochen.
Das Ergebnis: Die Führungskraft fühlt sich verletzt, ausgebrannt oder sogar ausgenutzt. Was ursprünglich als Zeichen von Menschlichkeit gedacht war, kippt in eine Quelle von Frustration.
Psychologischer Hintergrund: Unterschiedliche „Konten“
Die Ursache liegt in der unterschiedlichen Wahrnehmung:
- Mitarbeitende betrachten den Arbeitsplatz meist als Tauschgeschäft: Arbeitszeit gegen Gehalt. Alles, was darüber hinaus geschieht, rutscht schnell ins „Grundrauschen“.
- Führungskräfte hingegen führen ein Beziehungs-Konto: Wer viel investiert, erwartet zumindest minimale Anerkennung oder Loyalität zurück.
Dieser Erwartungsunterschied erzeugt ein Ungleichgewicht – und letztlich Enttäuschung.
Die Lösung: Klare Rollen und bewusste Trennung
Die Antwort liegt nicht darin, weniger Mensch zu sein. Sondern darin, bewusst zu unterscheiden, wann man als Führungskraft handelt und wann als Privatperson.
- Struktur vor Harmonie: Im beruflichen Alltag gilt: Aufgaben, Ergebnisse, klare Kommunikation. Hier zählt Verlässlichkeit mehr als Dankbarkeit.
- Geschenke klar benennen: Wenn man als Führungskraft dennoch etwas Zusätzliches tut (z. B. ein Event organisiert), sollte man es bewusst als Geschenk markieren – und nicht stillschweigend erwarten, dass alle dies erkennen.
- Keine stillen Erwartungen: Wer Anerkennung erwartet, wo sie strukturell nicht vorgesehen ist, läuft Gefahr, dauerhaft enttäuscht zu werden. Wertschätzung sollte im Privatleben gesucht werden, wo sie auch gespiegelt wird.
- Institutionalisierte Anerkennung: Statt auf persönliche Dankbarkeit zu hoffen, können Führungskräfte formale Wege schaffen – etwa regelmäßige Feedbackrunden, Peer-Recognition oder sichtbare Erfolgsmeldungen im Team. So wird Wertschätzung Teil des Systems, nicht Teil der Laune Einzelner.
Mensch bleiben – ohne sich zu verbrennen
Führung bedeutet nicht, kalt und distanziert zu sein. Aber sie bedeutet, bewusst zu steuern, wo man seine menschliche Wärme investiert. Wer ständig privat einspringt oder Erwartungen an Dankbarkeit hat, wird über kurz oder lang enttäuscht.
Die Balance liegt darin, professionelle Klarheit im Job zu wahren und Menschlichkeit dort zu leben, wo sie erwidert wird: in Freundschaften, Partnerschaften, im persönlichen Umfeld. So bleibt die Führungskraft integer, nahbar – aber auch geschützt vor Überforderung.
Fazit
Die Kunst moderner Führung besteht nicht darin, entweder „hart“ oder „herzlich“ zu sein. Sie besteht darin, beides zu balancieren: Klarheit, Struktur und Durchsetzungsfähigkeit im Beruf – kombiniert mit gezielter Menschlichkeit, wo sie Resonanz findet.
So entsteht eine Haltung, die sowohl professionell respektiert als auch menschlich verstanden wird.
